Mangel an Fachkräften wird für Unternehmen zur Existenzfrage
Unbequeme Wahrheiten, massive Probleme und wie sie möglicherweise gelöst werden können: Es war keine leichte thematische Kost, die beim Wirtschaftssommer in der Stadthalle serviert wurde, als es um den immer gravierender werdenden Fachkräftemangel ging. Hoffnungslos ist die Lage aber nicht.
Soest – Es sind deutliche Worte, die Dr. Steffi Burkhart ausspricht. Sie beschreiben eine schwerwiegende Krise, eine Situation, wie sie die Wirtschaft noch nicht erlebt hat: Den Mangel an der entscheidenden Ressource: Mensch. Unternehmen und Politik, da ist Burkhart unverblümt, haben das Aufziehen der Krise lange – zu lange – ignoriert. Und angesichts der Katastrophe bleibt eine angemessene Reaktion zu oft aus.
Steffi Burkhart gilt als Expertin für die Generationen Y (Jahrgänge 1981 bis 1994) und Z (1995 bis 2010), bekannt auch als „Millenials“. Sie weiß, wie junge Arbeitnehmer ticken – und was das mit dem Fachkräftemangel zu tun hat.
Das Profil, das Burkhart den Jungen verpasst, ist auf den ersten Blick wenig schmeichelhaft: Sie sind zu schlecht ausgebildet, wenn das Bildungssystem sie in den Markt entlässt, ihre Ansprüche an die „Work-Life“-Balance schlagen deutlich in Richtung der „Life“-Seite aus. Und sie sind illoyal, vor allem im Vergleich zur Generation der „Babyboomer“, die ihren Arbeitgebern statistisch ganz besonders treu bleiben und nicht selten Jahrzehnte lang für das gleiche Unternehmen arbeiten. Die Millenials seien es aber auch, die den Kulturwandel in den Unternehmen und Organisationen be- und vorantreiben.
Das womöglich in einem atemberaubenden Tempo, wie Burkhart veranschaulichte: „Jobprofile werden wegfallen und neue entstehen. Die meisten der Jobs, in denen die Generation Z arbeiten wird, kennen wir heute noch gar nicht.“
Die große Lücke
Schon jetzt gehen 2.500 „Babyboomer“ in Deutschland in Rente – jeden Tag. Angesichts immer weiter sinkenden Geburtsraten in den folgenden Jahrgängen und Generationen entsteht allein nur dadurch eine Lücke von mehr als acht Millionen fehlenden Arbeitnehmern bis 2030, beschrieb am Mittwochabend Steffi Burkhart. Um die, die bleiben und insbesondere um die Talente unter ihnen, ist längst ein Kampf entbrannt – und das nicht nur hierzulande, sondern weltweit. Im Handwerk kommt erschwerend hinzu, dass immer mehr Jugendliche Abitur und Studium anstreben.
Die „VUKA“-Realität (die Abkürzung steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz) wirke als Beschleuniger für tief greifende Veränderungen der Arbeitswelt, noch angefeuert durch die Digitalisierung und moderne Technologien. Burkhart: „Denken wir nur an Mark Zuckerbergs Vision eines Metaverse.“
Gastgeberin Carolin Brautlecht hatte mit der Wahl der Referentin für den zweiten Wirtschaftssommer der Wirtschaft und Marketing Soest (WMS) ins Schwarze getroffen. Die Impulse, die Steffi Burkhart den gut 80 anwesenden Unternehmern, Politik- und Verwaltungsvertretern gab, sorgten auch nach dem offiziellen Teil, beim „Snackworken“ im Stadthallengarten für viel Diskussionsstoff.
Auch die heimischen Unternehmen und Verantwortlichen hatte Burkhart zuvor in die Pflicht genommen und ihnen ins Gewissen geredet, kreative Lösungen zu suchen, um im „War for Talents“ (Krieg um Talente) künftig überhaupt eine Rolle spielen zu können. „Warum sollen sich junge Menschen entscheiden in Soest zu bleiben? Warum sollen Sie gerade in Ihrem Unternehmen arbeiten?“
Eine Antwort lieferte Berndt Patzke. Seit zwölf Jahren betreibt er zusammen mit seiner Frau Britta sein Ingenieurbüro in Soest. Fachkräfte kommen bei „IGP“ inzwischen aus aller Welt, drei waren am Mittwochabend in der Stadthalle dabei. Einer von ihnen, der Ingenieur Santiago Mugni aus Argentinien, berichtete selbst, wie er nach Deutschland kam und betonte, wie wohl er sich in Soest fühlt. Das Trio war ein gutes Beispiel dafür, wie qualifizierte Mitarbeiter auf vergleichsweise klassischen Wegen, über Jobportale oder auf persönliche Empfehlung zum Beispiel, ihren Weg aus aller Welt in ein mittelständisches Unternehmen finden können.
Und Bernd Patzke lieferte seinerseits anschauliche Beispiele, die sein Unternehmen zu einer „Caring Company“ (Fürsorgliche Firma) machen – was nach wie vor für die „Ressource Mensch“ ein entscheidender Grund sein kann, dem Arbeitgeber treu zu bleiben.